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Evaluation von zwei Interventionen bei Kindern mit Lese-Rechtschreibstörung - neuropsychologische und neurophysiologische Korrelate der Fördereffekte

Gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung

Hintergrund
Wissenschaftliche Erkenntnisse haben wesentlich dazu beigetragen, das Ursachenverständnis der Lese-Rechtschreibstörung (LRS) zu verbessern. So konnte mittlerweile ein neuronales Netzwerk von verschiedenen Hirnarealen bestimmt werden, welches beim Lesen und Rechtschreiben aktiviert wird. Das ermöglicht uns, den verschiedenen Lernprozessen beim Lesenlernen die aktivierten Hirnareale zuzuordnen. Dadurch können gestörte Teilprozesse beim Lesen und Rechtschreiben bei der LRS besser identifiziert werden und die Förderung möglicherweise spezifischer und dadurch effizienter erfolgen.

Ziele der Studie
Ziel der Studie war es herausfinden wie sich zwei Förderprogramme, ein Lese- und ein Rechtschreibprogramm, auf die Leistungen von Grundschülern mit einer LRS auswirken und ob sich die Fördereffekte auch im Gehirn nachweisen lassen. Befunde zeigen, dass die Gehirnaktivität während des Lesens und bei der akustischen Verarbeitung von Lauten bei Kindern mit einer LRS verändert ist.
Daher wurde die Gehirnaktivität während des Lesens und bei der akustischen Verarbeitung von Lauten mittels eines Elektro-Enzephalogramms (EEG) vor und nach einer 6-monatigen Förderphase erfasst, um Veränderungen in der Gehirnaktivität dieser beeinträchtigten Teilprozesse durch die Förderkonzepte abzubilden. Die Ergebnisse sollen helfen, besser verstehen zu können, warum Förderprogramme Kindern unterschiedlich gut helfen. Diese Information kann später helfen, den Kindern eine gezielte, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Förderung anzubieten.

Durchführung
Die Studie erstreckte sich insgesamt über einen Zeitraum von 3 Jahren (2010-2013). Es nahmen ca. 86 Schüler der dritten und vierten Klasse aus Münchner Grundschulen teil. Die Gesamtstichprobe teilte sich in vier Gruppen auf: 1) 26 unbeeinträchtigte Kontrollkinder ohne LRS, 2) 20 Kinder mit LRS die ein Rechtschreibtraining erhielten, 3) 20 Kinder mit LRS die ein Lesetraining erhielten und 4) 20 Wartekinder mit LRS die erst Förderung erhielten nachdem die Intervention von Gruppe 2 und 3 abgeschlossen war. Die Förderung erstreckte sich über sechs Monate und fand zwei Mal pro Woche à 45 Minuten im Einzelsetting statt. Jeweils vor und nach der Förderung, sowie ein Jahr nach Abschluss der Förderung, wurden die Lese-, Rechtschreib- und Rechenleistungen sowie die Lautwahrnehmung überprüft und die Gehirnaktivitäten mittels eines EEGs aufgezeichnet.

Ergebnisse
Die mittels EEG erhobene Gehirnaktivität beim Lesen von Wörtern bei Kindern mit und ohne LRS zeigte bei der Wortverarbeitung drei zeitlich getrennte Verarbeitungsprozesse welche in verschiedenen Regionen der linken Gehirnhemisphäre lokalisiert werden: um 170ms in der linken inferior temporo-occipitalen Region die Sensitivität des Gehirns für Wörter (Worterkennung), um 400ms im Bereich superior temporal-parietalen Cortex die Verbindung der Buchstaben zu Lauten und der Zugriff auf ein orthographisches Lexikon und um 700ms im temporalen Cortex die phonologische Verarbeitung. Bei den Kindern mit LRS waren vor der Förderung alle drei Verarbeitungsprozesse im Sinne einer Minderaktivierung verändert.
Nach der Förderphase fand sich bei den Kindern mit einer LRS, die sich im Lesen verbesserten, eine bedeutsame Veränderung in dem Prozess um 400ms. Das heißt, eine verbesserte Leseleistung geht mit einer Normalisierung der Gehirnfunktionen einher.
Um zu klären welche Kinder von Förderung profitieren und welche nicht wurde die Gehirnaktivität beim Lesen von Wörtern vor der Förderung betrachtet. Hier fanden wir Unterschiede in einem Gehirnprozess um 300ms, der mit phonologischer Verarbeitung assoziiert ist. Die Kinder mit einer LRS, die von der Förderung profitierten hatten eine stärkere Aktivität im Vergleich zu den Kindern, bei denen keine Leseverbesserung zu finden war. Eine wesentliche zukünftige Aufgabe ist nun, auf der Basis der Studienergebnisse spezifische neurophysiologische Profile für eine individuelle Förderung bei der LRS zu entwickeln, um eine deutlich höhere Effektivität der Förderung zu erzielen.

Veröffentlichungen

What does the brain of children with developmental dyslexia tell us about reading improvement? ERP evidence from an intervention study
S. Hasko, K. Groth, J. Bruder, J. Bartling, G. Schulte-Körne (2014)
Frontiers in Human Neuroscience 26. Juni 2014; doi: 10.3389/fnhum.2014.00441
Artikel online

Interventionseffekte bei Lese-Rechtschreibstörung: Evaluation von zwei Förderkonzepten unter besonderer Betrachtung methodischer Aspekte
K. Groth, S. Hasko, J. Bruder, S. Kunze, G. Schulte-Körne (2013)
Lernen und Lernstörungen, 2, 161-175

The time course of reading processes in children with and without dyslexia: An ERP study
S. Hasko, K. Groth, J. Bruder, J. Bartling, G. Schulte-Körne (2013)
Frontiers in Human Neuroscience 07. Oktober 2013; doi: 10.3389/fnhum.2013.00570
Artikel online

Mitarbeiterinnen
Jennifer Bruder (Psychologin, M.Sc.)
Sandra Kimmel (Dipl-Psych.)
Katarina Groth (Psychologin, M.Sc.)
Sarah Kunze (BTA)

Kontakt Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne
Tel 089 4400 55901
Gerd.Schulte-Koerne@med.uni-muenchen.de


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