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GENERAIN
Eine generationsübergreifende Studie zu Aufmerksamkeits- und Interpretationsprozessen bei Depression

Gefördert durch das Förderprogramm für Forschung und Lehre (FöFoLe) der Medizinischen Fakultät der LMU München, die Hans und Klementia Langmatz Stiftung sowie das Gender Mentoring Programm der LMU München


Hintergrund
Kinder, die mit einem Elternteil aufwachsen, das an einer Depression leidet oder gelitten hat, haben ein stark erhöhtes Risiko, selbst eine Depression zu entwickeln: etwa 50 % der Kinder depressiver Eltern erkranken bis zu ihrem 20. Lebensjahr an einer depressiven Episode (Beardslee et al., 1988). Bei der Weitergabe des Erkrankungsrisikos für eine Depression von Eltern an ihre Kinder spielen verschiedene biologische (z.B. genetische), psychologische (z.B. Wahrnehmungs- und Interpretationsprozesse) sowie soziale (z.B. Streit innerhalb der Familie) Faktoren eine Rolle, die Mechanismen sind jedoch noch wenig erforscht. Dass depressive Erkrankungen mit so genannten negativen kognitiven Bias - d.h. Verzerrungen auf verschiedenen Ebenen der Informationsverarbeitung - einhergehen (z.B. Everaert, Koster, & Derakshan, 2012), ist bereits bekannt. Diesen Bias wird eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung depressiver Erkrankungen zugeschrieben wird (z.B. Beck, 2008; Beck & Haigh, 2014), daher ist es plausibel, dass sie auch bei der Weitergabe des Erkrankungsrisikos eine wichtige Rolle spielen. Denn wie Eltern emotional relevante Informationen explizit sowie implizit wahrnehmen und verarbeiten, könnte die Art und Weise, wie ihre Kinder diese Art von Informationen wahrnehmen und verarbeiten, maßgeblich beeinflussen (z.B. Alloy et al., 2001; Jaenicke et al., 1987). Dies könnte die Entwicklung kognitiver Vulnerabilitäten fördern, die wiederum dazu führen könnten, dass Kinder ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression als Reaktion auf belastende Lebensereignisse haben (Beck, 2008; Goodman & Gotlib, 1999).

Ziele
Ziel der GENERAIN Studie war es zu untersuchen, welche Rolle kognitive Vulnerabilitätsfaktoren in Form von verzerrten Aufmerksamkeits- und Interpretationsprozessen (kognitive Bias) für die Weitergabe des Erkrankungsrisikos für depressive Erkrankungen von Eltern an ihre Kinder spielen. Dazu wurden sowohl Familien, in denen mindestens ein Elternteil an einer Depression leidet oder gelitten hat, als auch Familien, in denen kein Elternteil jemals von einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung betroffen war, untersucht und miteinander verglichen.

Durchführung
Insgesamt konnten 80 Kind-Elternteil-Paare in die Studie eingeschlossen werden. Davon 44 Eltern mit einer depressiven Erkrankung und deren Kinder mit stark erhöhtem Risiko für eine depressive Erkrankung sowie 36 Eltern ohne depressive Erkrankung und deren Kinder mit niedrigem Erkrankungsrisiko. Die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen waren 9-14 Jahre alt und waren bisher nicht von einer Depression oder einer anderen psychischen Erkrankung betroffen. Negative Aufmerksamkeits-Bias (d.h. die Tendenz, die Aufmerksamkeit eher auf negative anstatt auf neutrale oder positive Reize zu lenken) sowie Interpretations-Bias (die Tendenz uneindeutige Informationen eher negativ als neutral oder positiv zu interpretieren) wurden mit Hilfe von verschiedenen behavioralen Maßen (z.B. Reaktionszeiten) sowie Eye-Tracking (d.h. die Aufzeichnung von Augenbewegungen) erfasst.

Ergebnisse
Es zeigten sich interessante Ergebnisse auf der Ebene der Interpretation emotionaler Informationen (Sfärlea et al., zur Publikation angenommen): Wir fanden in der Gruppe von Kindern und Jugendlichen mit hohem Risiko einen negativeren Interpretations-Bias als in der Gruppe mit niedrigem Erkrankungsrisiko (obwohl alle Kinder zum Untersuchungszeitpunkt psychisch gesund waren und bislang keine Depression oder andere psychische Erkrankung gehabt hatten). Dies entspricht unseren Hypothesen und stimmt überein mit den Ergebnissen der einzigen früheren Studie zum Interpretations-Bias bei Kindern depressiver Eltern (Dearing & Gotlib, 2009). Auch bei den Eltern zeigten sich die erwarteten Gruppenunterschiede: von Depression betroffene Eltern interpretierten uneindeutige verbale Informationen häufiger negativ als nicht-betroffene Eltern. Darüber hinaus ergaben sich deutliche Zusammenhänge zwischen depressiven und Angst-Symptomen und dem Interpretations-Bias sowohl bei den Eltern als auch bei ihren Kindern.
Das Vorhandensein dieser negativeren Bias in der Gruppe mit erhöhtem Erkrankungsrisiko spricht dafür, dass dieser Bias nicht nur ein Korrelat oder eine Konsequenz depressiver Symptomatik ist. Da er auch bei Kindern und Jugendlichen mit einem hohen Erkrankungsrisiko schon vor Ausbruch der Erkrankung vorliegt, stellt der Interpretations-Bias möglicherweise einen Vulnerabilitätsfaktor dar, der die Entstehung depressiver Symptome oder einer depressiven Episode begünstigen könnte.

Ausblick
Bislang wurden noch nicht alle Daten aus der Studie ausgewertet und veröffentlicht. Ein Fachartikel zum Aufmerksamkeits-Bias ist aktuell in Arbeit, eine Publikation zum Zusammenhang von Aufmerksamkeits- und Interpretations-Bias ist darüber hinaus geplant.
Des Weiteren wurde auf Basis der GENERAIN-Studie bereits eine Folgestudie entwickelt: "Konsequenz oder Risikofaktor: Welche Rolle spielen kognitive Bias bei Depression im Kindes und Jugendalter? - die KROKO-Studie". Im Rahmen dieser Studie werden Kinder und Jugendliche im Alter von 9-14 Jahren (analog zu GENERAIN), die aktuell an einer Depression leiden, mit denselben Paradigmen wie in der GENERAIN-Studie untersucht. Ziel ist es, diese erkrankte Gruppe mit der Gruppe der Kinder mit hohem Erkrankungsrisiko sowie der Gruppe der Kinder mit niedrigem Erkrankungsrisiko zu vergleichen. Es soll untersucht werden, welche kognitiven Bias Risikofaktoren darstellen, also auch schon bei Kindern mit erhöhtem Erkrankungsrisiko, die aber aktuell nicht erkrankt sind, vorliegen, und welche sich erst als Konsequenz der Erkrankung manifestieren und deshalb nur bei akut an Depression erkrankten Kindern und Jugendlichen zu finden sind.
Zudem soll eine Follow-up Studie ("GENERAIN-30: Aufmerksamkeits- und Interpretationsprozesse als Prädiktoren einer depressiven Episode nach 30 Monaten - eine Follow-up Studie zu GENERAIN") klären, inwieweit die im Rahmen der GENERAIN-Studie gefundenen Verzerrungen in Aufmerksamkeits-und Interpretationsprozessen prospektiv das Auftreten einer depressiven Erkrankung nach 30 Monaten (2,5 Jahren) vorhersagen können. Daraus lassen sich Rückschlüsse darüber ziehen, inwieweit kognitive Bias tatsächlich eine Vulnerabilität darstellen und die Entstehung einer depressiven Episode begünstigen. Erkenntnisse darüber sind höchst relevant, da sich daraus Implikationen sowohl für theoretische Modelle zur Ätiologie depressiver Erkrankungen als auch für die Entwicklung und Optimierung von Präventionsmaßnahmen ergeben.

Publikationen - Zeitschriftenbeiträge

Sfärlea, A., Löchner, J., Neumüller, J., Asperud Thomsen, L., Starman, K., Salemink, E., Schulte-Körne, G., Platt, B. (zur Publikation angenommen). Passing on the half-empty glass: a transgenerational study of interpretation biases in children at risk for depression and their parents with depression. Journal of Abnormal Psychology

Kongressbeiträge - Poster

Sfärlea, A., Schulte-Körne, G., & Platt, B. (2017). GENERAIN - eine generationsübergreifende Studie zu Aufmerksamkeits- und Interpretationsprozessen bei Depression. XXXV. DGKJP Kongress, Ulm

Sfärlea, A., Salemink, E., Schulte-Körne, G., Platt, B. (2017). GENERAIN - eine generationsübergreifende Eye-Tracking Studie zu Aufmerksamkeitsprozessen bei Depression. 43. Tagung Psychologie und Gehirn, Trier

Sfärlea, A., Salemink, E., Schulte-Körne, G., Platt, B. (2017). GENERAIN - a transgenerational eye-tracking study on attention biases in children at risk for depression. 19th European Conference on Eye Movements, Wuppertal

Kontakt
Sollten Sie daran interessiert sein, an der Studie teilzunehmen, oder haben Sie Fragen zur Studie, so können Sie sich gerne an uns wenden:
Dr. Belinda Platt Belinda.Platt@med.uni-muenchen.de 089 4400 56932
Anca Sfärlea Anca.Sfaerlea@med.uni-muenchen.de 089 4400 55917



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