KJP LMU

Essstörungsspezifische Behandlungsangebote

Ambulante Essstörungssprechstunde und stationäre Behandlung:
Angebote der Klinik zur integrierten Versorgung

Besteht bei einem Kind oder Jugendlichen der Verdacht auf eine Essstörung, so kann in unserer Spezialsprechstunde für Essstörungen eine eingehende fachärztlich-psychologische Diagnostik und Beratung ohne längere Wartezeiten durchgeführt werden. Im Anschluss daran geben wir eine fachärztliche Empfehlung bezüglich des weiteren Vorgehens. Dazu wird geprüft, ob eine ambulante Therapie ausreicht oder die Einleitung einer stationären Behandlung zu empfehlen ist. Eine stationäre Behandlung magersüchtiger Patienten ist in vielen Fällen sinnvoll, bei schwerem Untergewicht häufig sogar unumgänglich, da diese Patienten eine starke Tendenz zur Verleugnung ihrer Krankheit zeigen und extreme Probleme bei der Normalisierung ihres Essverhaltens haben. Besteht die Indikation zur stationären Behandlung, so wird der Patientin/dem Patienten und den Sorgeberechtigten das Behandlungskonzept der Klinik erläutert sowie, falls erforderlich, zunächst eine Veränderungs- bzw. Therapiemotivation mit der Patientin/dem Patienten erarbeitet. Dies erfolgt im Bedarfsfall im Rahmen mehrerer ambulanter Wiedervorstellungstermine in unserer Spezialsprechstunde.
Auch Patienten, die bereits bei einem niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater zur ambulanten Diagnostik und/oder Therapie waren und denen eine stationäre Behandlung empfohlen wurde, erhalten im Rahmen eines Termins in der Spezialsprechstunde weitere Informationen zur Therapie in unserer Klinik. Auf Wunsch kann die Station nach vorheriger Terminabsprache vor der Einwilligung zur Aufnahme besichtigt werden.
In unserer neu gebauten Klinik bieten wir insgesamt 8 bis maximal 10 stationäre Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche mit Essstörungen auf einer darauf spezialisierten Station an. Die Aufnahme auf die Station 2 unserer Klinik erfolgt nach Warteliste. Daneben besteht für akut besonders gefährdete Jugendliche die Möglichkeit einer vorübergehenden geschlossen-stationären Aufnahme auf die Station 3. Patienten, die in bedrohlichem körperlichem Zustand sind, können gegebenenfalls auch akut im Haunerschen Kinderspital aufgenommen und bis zur stationären übernahme im Konsiliar- bzw. Liaisonmodus intensiv von uns mitbetreut werden.
Auf den Stationen unserer Klinik arbeiten Mitarbeiter verschiedener Berufsgruppen (ärztliche und psychologische Psychotherapeuten, Kreativ- und Körpertherapeuten, Kranken- und Gesundheitspfleger, Erzieher, Sozial- und Heilpädagogen) im interdisziplinären Team zusammen, um den Patienten eine umfassende Hilfe und Förderung zu ermöglichen. Es stehen Psychotherapeuten verschiedener Schulen (z.B. Verhaltenstherapie, analytische bzw. tiefenpsychologisch-orientierte Psychotherapie) zur Verfügung, die in der Arbeit mit den Patienten kombiniert werden. Zusätzlich besteht bei besonders schwer erkrankten Patienten die Möglichkeit einer medikamentösen Behandlung. Bei der Behandlung bereits eingetretener körperlicher Komplikationen der Magersucht besteht eine enge Zusammenarbeit mit der Kinderklinik.
Während des stationären Aufenthaltes besuchen die Kinder und Jugendlichen die integrierte Klinikschule (s.u.). So wird für jeden Patienten ein individuell passender Therapieplan auf der Grundlage unseres multimodalen und integrativen Gesamtbehandlungskonzepts erstellt.
Ziel einer stationären Behandlung ist grundsätzlich die möglichst baldige Rückkehr in den Lebensalltag, eine Wiederaufnahme des regelmäßigen (Außen-) Schulbesuches sowie der Freizeitaktivitäten in vollem Umfang. Die stationäre Therapie ist dabei meist nur als Einstieg in einen längeren, psychotherapeutischen Prozess zu verstehen. Um eine auch langfristig erfolgreiche Gewichtsstabilisierung zu gewährleisten, ist danach meist eine weiterführende Behandlung unverzichtbar. Auch nach dem stationären Aufenthalt können Patienten, zusätzlich zu einer dann einzuleitenden, ambulanten Psychotherapie, auf Wunsch weiter im Rahmen der Essstörungssprechstunde betreut werden - im Sinne einer Nachsorge und langfristigen Begleitung. Dabei sollte immer eine kritische Gewichtsgrenze festgelegt werden, unterhalb derer eine stationäre Wiederaufnahme erfolgt.

Esstörungs-Spezialsprechstunde


Normalisierung des Essverhaltens:
Verhaltensbezogene und ernährungsmedizinische Maßnahmen

Das regelmäßige Einhalten von Mahlzeiten ist fester Bestandteil des Behandlungsprogramms. Die Gewichtsrehabilitation und Normalisierung des Essverhaltens durch entsprechende ernährungsmedizinische Maßnahmen erfolgt schrittweise und wird mit den Patienten individuell im Zuge der Ausarbeitung des Gesamtbehandlungsplans festgelegt. Dies gilt auch für die überwindung von unangemessenen und selbstschädigenden Maßnahmen der Gewichtsreduktion. Im stationären Kontext, wo das Essen gemeinsam mit den Betreuern ("Modellessen") und in der therapeutischen Gemeinschaft, nur im Bedarfsfall auch einzeln, erfolgt, wird den anorektischen Patienten anfangs die Verantwortung für das Essen abgenommen. In vier Stufen werden sie dann an eine normale Nahrungsaufnahme herangeführt:
Stufe 1: Das Essen wird für die Patienten nach einem ausgewogenem Ernährungsplan zusammengestellt, zubereitet und auf dem Teller "vorportioniert". Nach dem Essen werden Ruhezeiten, aber keine Bettruhe eingehalten. Bei zusätzlich vorhandenem selbstausgelöstem Erbrechen besteht nach den Hauptmahlzeiten für eine Stunde eine Toilettensperre.
Stufe 2: Das Essen wird vom Pflegeteam nur noch vorbereitet und auf den Tisch gestellt. Die Patienten bedienen sich selbst, portionieren und essen aber nach Plan.
Stufe 3: Die Patienten richten ihr Essen selbständig ("selbst portioniert"), orientieren sich dabei an dem Kostplan und erhalten vom Pflegeteam anschließend eine Rückmeldung.
Stufe 4: Die Patienten essen selbständig und erhalten keine Rückmeldung vom Pflegeteam. Die Kontrolle der Nahrungsaufnahme und Rückmeldung über "richtiges" Essen erfolgen nur noch über das Körpergewicht, das weiterhin stabil bleiben muss.
Das Fortschreiten von einer Stufe zur nächsten ist gewichtsabhängig und richtet sich danach, wie die Patientin mit der Nahrungsaufnahme zurechtkommt. Bei bulimischen Patienten wird häufig mit Stufe 2 oder 3 begonnen, da diese oft eine ausreichende Selbstverantwortung übernehmen können.
Patienten mit einer Binge-Eating-Störung werden in zwei Stufen an eine Normalisierung ihres Essverhaltens und Gewichts herangeführt und beginnen deshalb mit der 3. Stufe. In den wöchentlich stattfindenden Bilanz- und Zielplanungsgesprächen sollen die Patienten ihr Essverhalten kritisch selbst beleuchten und erhalten im Anschluss seitens des Pflegeteams eine Rückmeldung. Den Patienten wird die Gewichtssteigerung mittels individualisierten, mit den Patienten gemeinsam ausgearbeiteten Verstärkerplänen erleichtert. Diese richten sich bei bulimischen Patienten zunächst auf die Dokumentation der Essanfälle und des Erbrechens und später auf die Reduktion der Symptomatik. Bei Patienten mit einer Binge-Eating-Störung zielen die Verstärkerplane zunächst auf die Dokumentation der Essanfälle und im weiteren Verlauf auf deren Reduktion sowie die Intensivierung regelmäßiger, körperlicher Aktivitäten.
Neben der Beendigung von unangemessenen und selbstschädigenden Maßnahmen der Gewichtsreduktion liegt in der ersten Behandlungsphase der Fokus auch auf der überwindung sonstiger dysfunktionaler Verhaltensweisen (z.B. selbstverletzendes Verhalten). Von Beginn an werden eventuell bestehende komorbide, d.h. zusätzlich vorliegende, psychiatrische Störungen (z.B. Depressionen, Angst- oder Zwangsstörungen) mit berücksichtigt, denn auch die effektive Behandlung der komorbiden Störungen entscheidet nach heutigem Kenntnisstand maßgeblich über die Prognose und den langfristigen Krankheitsverlauf. Bei Bedarf wird auch auf eine unterstützende psychopharmakologische Behandlung zurückgegriffen, die jedoch immer vorher mit der Patientin und den Sorgeberechtigten ausführlich besprochen wird und grundsätzlich nur in Kombination mit den anderen, oben aufgeführten therapeutischen Maßnahmen zum Einsatz kommt.


Die Bearbeitung zugrunde liegender Problembereiche:
Konfliktzentriertes Vorgehen und mehrdimensionalen Krankheitsverständnis

Die Ursachen von Essstörungen sind vielschichtig: Entstehung und Aufrechterhaltung der Erkrankung werden als ein multifaktorielles, d. h. durch vielfältige Einflüsse bedingtes, komplexes Geschehen gesehen. Dabei wirken individuelle psychische Belastungsfaktoren mit biologischen, soziokulturellen und familiären Faktoren in unterschiedlicher Gewichtung zusammen. Wir begreifen die Essstörungssymptomatik mehrdimensional, von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet:

Zu den Problembereichen, die der Erkrankung in vielen Fällen zugrunde liegen, zählen u. a. mangelndes Selbstwertgefühl, fehlende Autonomie- und Identitätsentwicklung, mangelnde Selbstsicherheit, Schwierigkeiten im Kontakt- und Kommunikationsverhalten, fehlende Tagesstruktur, eingeschränkte Fähigkeit, Emotionen bei sich und anderen wahrzunehmen und auszudrücken, Verunsicherungen in der psycho- und körperlich-sexuellen Entwicklung (Pubertät), mangelnde Impulskontrolle, belastete familiäre Beziehungen sowie Konflikte mit Freunden und überforderungserleben bzw. übertriebene Leistungsorientierung in der Schule. Die jeweiligen Problembereiche werden im Rahmen der Einzeltherapie bei jedem Patienten individuell herausgearbeitet. Die Aufarbeitung der Probleme erfolgt sodann in der Einzel- und Gruppentherapie sowie in den Familiengesprächen. Es muss jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass, solange sich der körperliche Zustand nicht stabilisiert hat, die Beschäftigung mit den zugrunde liegenden Konflikten und dem verzerrten Körperbild oftmals nicht möglich ist!
In Abhängigkeit vom Patienten, dessen Ressourcen und vom Behandlungszeitpunkt bietet sich für die Arbeit an den zugrunde liegenden krankheitsrelevanten Konflikten in der Einzelpsychotherapie manchmal eher ein tiefenpsychologisch-psychodynamisch orientierter Zugang an, bisweilen aber auch eine eher direktive Form der Vermittlung von Problemlösestrategien im Sinne eines kognitiv-verhaltensbezogenen Vorgehens - in beiden Fällen stets ergänzt um die in der psychotherapeutischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen unverzichtbare systemische Perspektive (d. h. die Berücksichtigung des häuslichen und sozialen Umfelds) und um familientherapeutische Interventionen.

Was sind mögliche Ursachen und Hintergründe der Anorexie, der Bulimie und des Binge-Eating?


Berücksichtigung des sozialen Umfelds und der Alltagsrealität:
Enge Einbeziehung der Eltern und intensive Zusammenarbeit mit der Schule

Auch das familiäre und soziale Umfeld von Kindern und Jugendlichen mit einer Essstörung ist großen Belastungen ausgesetzt. Um eine Entlastung zu schaffen und eine langfristige Stabilität nach der Behandlung in unserer Klinik zu erreichen, ist eine intensive Eltern- und Familienarbeit wichtiger Bestandteil unseres Therapiekonzepts. Ziel ist es, den Eltern zu vermitteln, dass einerseits familiäre Konflikte bzw. Besonderheiten der Interaktion in der (bisweilen überengen) Eltern-Kind-Beziehung nicht selten von zentraler Bedeutung in der Krankheitsentstehung oder Aufrechterhaltung der Symptomatik sind, dass aber andererseits die Eltern eine wichtige Ressource und wirksame Hilfe zur überwindung der Essstörung darstellen, die Gesundung des Kindes also nachhaltig fördern können. Für die Eltern der Patienten bieten wir, zusätzlich zu den regelmäßig stattfindenden Elterngesprächen, gemeinsame, störungsspezifische Psychoedukationsgruppen an, die auch einen Erfahrungsaustausch der betroffenen Eltern untereinander ermöglichen. In den Gruppen werden grundlegende Kenntnisse zum Thema Essstörungen vermittelt und konkrete Maßnahmen zur Förderung der Autonomieentwicklung besprochen. Auch die Bearbeitung der sich oft stetig wiederholenden, familiären Konflikte, insbesondere in den Essenssituationen, wird im Rahmen von Gruppendiskussionen möglich.
Neben der Einbeziehung der Familie ist auch eine angemessene Berücksichtigung der sonstigen sozialen Umfeldbedingungen und der Alltagsrealität, z. B. einer übertriebenen Leistungsorientierung in der Schule oder Konflikten im Freundeskreis, ein unverzichtbarer Therapiebaustein. Während des stationären Aufenthaltes erfolgt in der angeschlossenen Klinikschule mit Klassenräumen auf den Stationen eine integrierte, leistungsgerechte Beschulung und individuelle Förderung der Patientinnen/Patienten. Durch die interne Beschulung können krankheitsbedingte Fehlzeiten weitgehend kompensiert werden.


Tanz- und Bewegungstherapie:
Der Körper als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel und die Arbeit am Körperbild

Tanz- und Bewegungstherapie versteht den Menschen als erlebendes Wesen und nimmt die Patienten mit all ihren leiblichen Aspekten wie Stimmungen, Gefühlen, Erregungen und Spannungen, dem Körpererleben, Selbstbildern, Gedanken und sozialen Beziehungen ernst. Innerhalb der Therapie steht zum einen der diagnostische Aspekt im Vordergrund; hier beobachtet die Therapeutin, wie psychische Empfindungen in Bewegung zum Ausdruck kommen. Zum anderen geht es darum, der Patientin über Achtsamkeit und Bewegung Zugänge zum Körpererleben zu ermöglichen. Im Behandlungskonzept für Patienten mit Essstörrungen sind zwei Tanz- und bewegungstherapeutische Methoden wesentlich: das sensomotorische Basistraining und die störungsspezifische Körperbildarbeit. Zentrale Inhalte sind hier die Bearbeitung von Körperschemastörungen durch körper- und bewegungstherapeutische Integrationsarbeit.
Mögliche allgemeine Therapieziele sind:

Die Grundlage für das gemeinsame Erarbeiten oben genannter Ziele ist die vertrauensvolle therapeutische Beziehung. Die Tanz- und Bewegungstherapie kann je nach Indikation einzel- oder gruppentherapeutisch vorgenommen werden.


Kunst-, Musik- und Ergotherapie:
Der Körper als Ausdrucks- und Kommunikationsmittel

Der Kampf um Kontrolle, der zu den allgemeinen Merkmalen von Essstörungen gehört, kann über ein entsprechendes Material- bzw. Instrumentenangebot und methodischer Anleitung im Rahmen aller genannten kreativtherapeutischen Verfahren aufgelockert werden. Entscheidend dabei ist für die Patientin das Erleben spontaner Kreativität und der unmittelbare Selbstausdruck, in dem sie sich zunehmend der Eigendynamik des gestalterischen Prozesses bzw. des Musizierens überlassen. So wird die gedankliche Fixierung auf das Thema Essen gelockert und ein Zugang geschaffen zu bisher verdrängten ängsten, Phantasien und Wünschen.
In der Musiktherapie wird durch die Resonanz die Eigenwahrnehmung, die bei essgestörten Patienten stark gestört ist, aktiviert; die Störung kommt ins Bewusstsein, wird "hörbar" und kann psychotherapeutisch bearbeitet werden. Die freie Wählbarkeit der Instrumente sowie der weitgehende Verzicht auf Themenvorgaben sind dabei wichtige Voraussetzungen.

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