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Durchbruch in der Diagnostik und Behandlung der Dyskalkulie

S3-Leitlinie schafft wissenschaftlich fundierte, einheitliche Standards in der Diagnostik und Behandlung der Rechenstörung (Dyskalkulie)

Welche Menge verbirgt sich hinter 65? Ist die Zahl 56 tatsächlich kleiner als 65? Dies können Beispiele sein für Menschen, die an einer Rechenstörung leiden. Betroffene haben große Probleme im Alltag, beim Bezahlen, beim Abschätzen von Größen und Längen! Womöglich liegt eine Dyskalkulie (Rechenstörung) vor. Bisher wird die Dyskalkulie selten diagnostiziert, die Betroffenen bekommen kaum Hilfen. Erstmals wurde nun eine S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung der Rechenstörung entwickelt, die aufzeigt, wie die Diagnostik durchgeführt werden soll und mit welchen Methoden Menschen mit einer Rechenstörung geholfen werden kann. Die Empfehlungen der Leitlinie gelten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

3 bis 6 Prozent aller Menschen leiden trotz guter Begabung und regelmäßigem Schulbesuch an einer Rechenstörung, die auch Dyskalkulie genannt wird. Nach dem internationalen Klassifikationsschema der Krankheiten (ICD 10) gehört die Rechenstörung zu den umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Neurobiologische Ursachen dieser Erkrankung sind sehr wahrscheinlich. Die Betroffenen verstehen die Bedeutung von Zahlen nicht und Mengen werden falsch erfasst. Rechenoperationen wie Addition und Division misslingen trotz intensiven Übens. Sie scheitern im Mathematikunterricht, können Anforderungen im Beruf und Alltag nicht immer erfüllen und entwickeln nicht selten als Folge massive Ängste und Depressionen. Trotz der Relevanz der Rechenstörung für die Bildungs- und Berufskarriere sowie der psychosozialen Entwicklung von Betroffenen gab es bisher keine einheitlichen Standards zur Diagnostik, Förderung und Behandlung. Betroffene und Experten waren mit verschiedenen Förder- und Behandlungsmethoden konfrontiert, deren Wirksamkeit häufig unklar war.

Mit der im März 2018 veröffentlichten S3-Leitlinie zur Rechenstörung liegen erstmals klare und fächerübergreifende Handlungsempfehlungen zur Diagnostik und Förderung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Rechenstörung vor. Die Leitlinie wurde von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie e. V. (DGKJP) initiiert und von 20 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Berufsverbänden aus den Bereichen Psychologie, Pädagogik, Medizin, Didaktik und Lerntherapie konsentiert. In einer Entwicklungszeit von mehr als drei Jahren wurde hierfür die gesamte internationale Forschungsliteratur gesichtet und bewertet. Insgesamt 19 wissenschaftlich begründete und im Alltag bewährte Empfehlungen wurden so gemeinsam erarbeitet.

Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne von der LMU München und Koordinator der Leitlinie betont: „Es freut mich sehr, dass diese Leitlinie von den Fachverbänden der Praxis und der Wissenschaft gemeinsam entwickelt und abgestimmt wurde. Dies ist eine exzellente Basis dafür, dass sich die Diagnostik und Förderung in Schule, Lerntherapie und der fachärztlichen Versorgung in Zukunft verbessern wird.“ Der Bundesverband Legasthenie und Dyskalkulie e. V. (BVL), der Betroffene mit Rechenstörung sowie deren Eltern unterstützt, stimmt hier ein. „Seit Jahrzehnten warten die Betroffenen und ihre Eltern vergeblich darauf, dass die Dyskalkulie genauso wie die Legasthenie in den Schulen anerkannt wird. Jetzt ist eine wichtige Grundlage für die Anerkennung entstanden“, hebt die Bundesvorsitzende des BVL, Christine Sczygiel, hervor.

Die Leitlinie wurde am 16.03.2018 in München auf der Tagung „Dyskalkulie – von der Wissenschaft in die Praxis“ erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Neben Vorträgen zur Leitlinie und zu Fördermöglichkeiten in der Schule, der lerntherapeutischen Praxis und Zuhause stand die Situation betroffener Kinder und Jugendlicher sowie deren Familie im Zentrum. Zur Frage, wie zukünftig die Rechenstörung in der Schule berücksichtigt werden kann, fand eine Podiumsdiskussion mit bildungspolitischen Vertretern der Bayerischen SPD (Martin Güll), der Grünen (Thomas Gehring), der Freien Wähler (Michael Piazolo) und der FDP (Britta Hundesrügge) statt.

Die Leitlinie steht kostenlos zum Download auf den Websites der
AWMF,
der DGKJP ,
des BVL,
sowie der Kinder- und Jugendpsychiatrie der LMU München zur Verfügung.

Im Folgenden finden Sie Links zu einigen Medienbeiträgan über die Leitlinie:

Bayerischer Rundfunk, B5 aktuell, Das Campusmagazin
Dyskalkulie-Leitlinien: Neuer Ansatz für Diagnostik und Behandlung der Rechenschwäche, ab 1:24‘ bis 5:58‘

Sueddeutsche Zeitung vom 18. März 2018
Diagnosen werden spezifischer - Jugendpsychiater Gerd Schulte-Körne über die neue Leitlinie zur Behandlung von Kindern mit Rechenschwäche

News 4 teachers
Rechenstörung: Im Schnitt sitzt in jeder Klasse ein betroffenes Kind – jetzt liegt endlich eine Leitlinie zur Diagnose und Behandlung vor

Ärzte Zeitung
Rechenstörung - S3-Leitlinie zu Therapie und Diagnostik bei Dyskalkulie. Zur Diagnostik und Therapie bei Dyskalkulie ist nun eine S3-Leitlinie erschienen.

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